Antisemitismus und Rassismus zusammen zu denken
Interview mit Burak Yilmaz
In der deutschen Präventionslandschaft gibt es eine Vielzahl von Ansätzen und Methoden antidemokatrischen Phänomenen zu begegnen. Auffällig ist, „[…] dass augenscheinlich keine spezifische Präventionsmethodik existiert; das Handlungsfeld der Radikalisierungsprävention sich also insbesondere Methodiken der Sozialen Arbeit, der Pädagogik und der politischen Bildung bedient“ (Ostwaldt 2022:22). Ein Bereich, welcher diese Methoden bereits langfristig nutzt, erprobt und evaluiert hat, ist das etablierte Feld der Rechtsextremismusprävention. Für das „noch jüngere“ Feld der Prävention gegen islamistisch-begründeten Extremismus resultiert daraus die Frage, inwiefern man erprobte Methoden und Ansätze vom einen ins andere transferieren kann.
Mit der Gedenkstättenpädagogik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein eigenes Arbeitsfeld außerschulischer historisch-politischer Bildung etabliert. Nicht selten ist diese Arbeit eingebettet in Bildungsprozesse, die sich gegen die Diskriminierung von Menschen stark machen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Bildungsarbeit an und mit Gedenkstätten im engeren Sinne auch mit der Prävention gegen Rechtsextremismus verknüpft ist. Da Antisemitismus als sog. Brückennarrativ jedoch in unterschiedlichen Phänomen und Facetten zu Tage kommt, wirft dies die Frage auf, ob und wie sich der Zweig der Gedenkstättenpädagogik auch auf andere demokatriefeindliche Phänomene übertragen lässt. Damit verknüpft ist auch die Rolle von (historischen) Gedenkorten für die heutige Präventionsarbeit und politische Bildung. Es gilt die Potenziale zu prüfen, die sich aus einer Gedenkstättenpädagogik ergeben, die unsere heutige Lebenswelt und gesellschaftliche Diskurse mit einbezieht.
Burak Yilmaz, Autor und Sozialarbeiter aus Duisburg, plädiert dafür „Antisemitismus und Rassismus zusammen zu denken“. Konfrontiert mit antisemitischen Äußerungen in seiner Arbeit in einem Jugendzentrum organisiert er eine Gedenkstättenfahrt mit muslimischen Jugendlichen nach Auschwitz. Für sein Engagement einer inklusive Erinnerungskultur erhält er das Bundesverdienstkreuz. Darüber und warum der „Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus im eigenen Kopf beginnt“ haben wir mit ihm gesprochen.
Piotr Suder: Wie bist du zu dem Thema Antisemitismus gekommen?
Burak Yilmaz: Ich habe in einem Jugendzentrum gearbeitet und in diesem Jugendzentrum habe ich gemerkt, dass antisemitische Äußerungen eigentlich so an der Tagesordnung standen. Und für mich waren das am Anfang eher so Einzelfälle und ich habe das ganze Systematische dahinter gar nicht verstanden. Bis ich halt irgendwann eine Jugendgruppe hatte, die mehrheitlich muslimisch war und diese Jugendgruppe wurde von der Gedenkstättenfahrt ausgegrenzt, weil die Lehrkräfte dachten, als Muslime sind sie automatisch antisemitisch und in der Gedenkstätte würden die sich antisemitisch verhalten. Und ich habe dann den Jugendlichen angeboten, dass, wenn sie über ihre Schule nicht fahren dürfen, dass ich das mit ihnen mache. Und dadurch kam es eigentlich dazu, dass ich mich vertiefter damit auseinandergesetzt habe. Weil ich komme eigentlich aus der Antirassismusarbeit habe dann gemerkt: Okay, diese Arbeit ist wichtig, aber ich muss sie irgendwie mit Antisemitismus kombinieren.
Piotr Suder: Und du engagierst dich jetzt schon seit einigen Jahren gegen Antisemitismus und auch gegen Rassismus. Wie sieht deine Arbeit im Konkreten aus? Wie sieht sie im Alltäglichen aus, welche Projekte unternimmst du gegen Antisemitismus und Rassismus?
Burak Yilmaz: Ich habe letztes Jahr ein Buch über meine Arbeit geschrieben und seitdem mache ich ganz viele Lesungen, vor allem in vielen Schulen. Darüber hinaus mache ich theaterpädagogische Workshops, weil ich mit den Jugendlichen eigentlich nicht in so einem Format arbeiten möchte, dass ich dahin komme, einen Vortrag halte und sie dann 90 Minuten zuhören, sondern ich will eigentlich, dass wir ganz viele Sachen spielen, dass wir uns bewegen, dass sie das dadurch angeregt werden und ins Nachdenken kommen. Dabei frage ich sie häufig:
Welche Erfahrungen macht ihr mit dem Thema? Was sind so Sprüche, die ihr gehört habt? Was sind so Gerüchte, die ihr gehört habt? Von wem habt ihr sie gehört? Und dann geht es eigentlich darum, Antisemitismus und auch Rassismus so zu thematisieren, dass ich nicht einen historischen Input mache, sondern eigentlich konkret an die Lebenswelt der Jugendlichen rankomme.
Piotr Suder: Und welche Erfahrungen hast du mit den Gedenkstättenfahrten gemacht? Eine Auschwitz-Fahrt stelle ich mir ziemlich schwierig und herausfordernd vor.
Burak Yilmaz: Als ich angefangen habe, Gedenkstättenfahrten zu organisieren, war mir wichtig, dass das Ganze sehr intensiv vorbereitet wird. Ich wollte irgendwie nicht einfach nur so ein Projekt machen und hinfahren und wieder zurückkommen und das wars, sondern ich hatte eine halbjährige Vorbereitung auf das Ganze, dann die Fahrt und dann im Anschluss ein fast einjähriges Theaterprojekt, wo eben all die Erlebnisse noch mal verarbeitet werden konnten und die Jugendlichen in dem Theaterprojekt die Möglichkeit hatten auch ihre Geschichten zu erzählen. Auch zu erzählen, was sie bewegt, was sie wütend macht, wo sie frustriert sind, wann sie sich ohnmächtig fühlen.
Theater bietet genau diese wunderbare Möglichkeit, ihnen das Gefühl zu geben und die Möglichkeit zu geben, was zu verändern und auf der Bühne zu stehen und vor ganz vielen Menschen, vor der Gesellschaft ihre Geschichte zu erzählen. Und von daher war mir wichtig, mit diesen Projekten eben nicht nur politische historische Bildungsarbeit zu machen, sondern vor allem Selbstwirksamkeit zu erreichen. Sodass die Jugendlichen merken: Meine Stimme ist auch ein Teil dieser Gesellschaft, ich bin ein Teil dieser Gesellschaft und ich habe auch was zu erzählen.
Piotr Suder: Und hast du auch den Eindruck, dass das auch was mit ihnen macht, im Sinne ihrer Einstellung zu Jüdinnen und Juden, weil Selbstwirksamkeit ist ja erstmal das eine, sie können sich ausdrücken, sie können vermutlich auch antimuslimischen Rassismus zur Sprache bringen, was sehr wichtig ist. Aber gibt es dann eine direkte Verbindung zu der Thematik des Antisemitismus?
Burak Yilmaz: Ich habe oftmals Jugendliche gehabt, die gesagt haben: Ja, guck mal, wir erleben ja Rassismus als Muslime und wenn Jüdinnen und Juden Antisemitismus erleben, können wir halt nicht weggucken. Denn es ist auch eine Form von Gewalt und Diskriminierung, die wir ernst nehmen müssen. Also, da hat man quasi die eigenen Erfahrungen oftmals verbunden mit anderen Erfahrungen. Auf der anderen Seite gab es dann aber das Problem, dass Jugendliche gesagt haben, dass der Rassismus, den sie erleben, das sei das Allerschlimmste und alle anderen Diskriminierungsformen seien weit weniger schlimm. Also, sie haben quasi ihre Diskriminierung als etwas Absolutes hervorgehoben und die Anderen haben sie gar nicht mehr gesehen oder wahrgenommen. Und mir war eigentlich wichtig zu vermitteln, erstens welche Diskriminierung erleben wir? Und zweitens, wie hängt eigentlich unsere Diskriminierung mit der Diskriminierung von anderen zusammen? Und da hatte ich ganz tolle Gespräche gehabt.
Also ich hatte auch Jugendliche natürlich, die am Anfang gar nicht über dieses Thema reden wollten, die gesagt haben, eine Synagoge gehe ich nicht besuchen, ich habe da keinen Bock drauf. Und dann konnte ich eigentlich immer wieder durch Vertrauensarbeit, durch sehr viel Beziehungsarbeit vermitteln, dass wenn man diese Orte besucht, dass man nicht ein Verräter ist oder so, sondern, dass es auch sehr mutig ist, Orte zu besuchen, die man als als feindlich wahrnimmt und dass vielleicht in diesen Orten noch ganz viele wunderbare Dinge geschehen können.
Und interessant waren gerade diese Jugendlichen, also einige von denen, die erstmal nicht in die Synagoge wollten. Sie kamen dann raus und haben festgestellt, dass es viele Ähnlichkeiten zum Islam gibt, also es gibt eine rituelle Waschung, es gibt ähnliche Hygienevorschriften, Essensvorschriften und da haben sie gemerkt: Oh, das ist nicht irgendwie irgendwas Fremdes, was so so auf einem anderen Planeten existiert, sondern da gibt es ganz viele Verknüpfungspunkte zu meiner eigenen Identität und das war dann häufig ein ganz gutes Fundament für weitere Gespräche.
Piotr Suder: Wir beschäftigen uns ja mit der phänomenübergreifenden Perspektive, vergleichen zum Teil islamistische Gruppierungen mit rechtsextremistischen Gruppierungen, die Ideologien und Antisemitismus spielt bei beiden Phänomenenbereichen eine zentrale Rolle. Antiemitismus findet sich aber auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft.
Würdest du sagen, dass vor dem Hintergrund, dass du insbesondere mit Jugendlichen zusammen arbeitest, die eine internationale Familiengeschichte haben und einen Bezug zum Islam, dass es dort eine spezifische Form von Antisemitismus geben kann oder siehst du Antisemitismus als ein universelles Problem, was bei allen Gesellschaftsgruppen gleichermaßen ausgeprägt ist und in der gleichen Form?
Burak Yilmaz: Ich glaube jede Gesellschaft hat seine spezifische Form von Antisemitismus. Der Antisemitismus in der Türkei kann ein anderer sein als der Antisemitismus in den USA oder in Deutschland. Da kann es natürlich zu Unterschieden kommen. Ich erlebe das häufig in Deutschland so, dass wir vor der Problematik sind, dass Leute eher denken, man hätte Antisemitismus überwunden und müsste sich nicht mehr damit auseinandersetzen, und das ist dann schwierig zu vermitteln, warum Antisemitismus heute auch noch präsent ist. Auf der anderen Seite gibt es natürlich muslimische Milieus, wo auch Antisemitismus eine Rolle spielt, und da erlebe ich das heute häufig als so ein „Freund-Feind-Denken“. Entweder du bist mein Kumpel oder du bist mein Feind und gehörst zu denen. Und dieses „Freund-Feind-Denken“ ist sehr, sehr stark ausgeprägt. Auch wenn Antisemitismus unterschiedliche Ursachen hat, unterschiedliche Gesichter hat, ist es total wichtig, sich mit der Konsequenz auseinanderzusetzen.
Die Konsequenz in Deutschland ist, dass wir vor jeder jüdischen Einrichtung ein Polizeiauto stehen haben. Die Konsequenz ist, dass wenn wir über Sicherheit reden und deutsche Jüdinnen und Juden, das wir da unglaublich viel machen müssen, weil viele sagen, das sei normal, aber das ist nicht normal. Also normal wäre, wenn wir eine Begegnung mit deutschen Jüdinnen und Juden haben, ohne dass es irgendwie besonders ist, sondern dass diese Begegnung eigentlich alltäglich werden sollte.
Piotr Suder: Und was heißt das für die konkreten Ansätze in der Bildungsarbeit oder in der Sozialen Arbeit, im Engagement gegen Antisemitismus? Gibt es da spezifische Zugänge je nach Zielgruppe? Also du hast ja gesagt, es gäbe Unterschiede, arbeitet man anders mit muslimischen Jugendlichen und mit nicht-muslimischen Jugendlichen, gibt es diesbezüglich Unterschiede?
Burak Yilmaz: Ich glaube, grundsätzlich müssen wir überhaupt Angebote schaffen, um über Antisemitismus zu sprechen und das ist schon das erste Problem. Weil wir nicht viele Einrichtungen haben, nicht viele Institutionen haben, die diese Angebote schaffen.
Und alleine zu thematisieren oder alleine ein Angebot zu machen und über Antisemitismus zu sprechen, löst schon Widerstände aus, dass Leute sagen: Boah, warum denn schon wieder das Thema? Warum ausgerechnet dieses Thema? Und das ist eigentlich schon die größte Herausforderung, die wir haben und nicht nur bei Jugendlichen, eigentlich auch bei pädagogischen Fachkräften. Weil ich merke gerade beim Thema Antisemitismus, dass auch pädagogische Fachkräfte in der Verantwortung stehen, unsere eigenen Vorurteile zu überprüfen. Welche Erzählungen reproduzieren wir eigentlich? Welche Bilder können wir entgegensetzen? Welche Bilder habe ich eigentlich persönlich? Und da ist es halt wichtig, dass ich mich selber eigentlich als Teil des Prozesses verstehe und nicht irgendwie der Allwissende bin, der jetzt alle Leute unterrichtet, sondern ich gehöre halt auch dazu.
Ich bin halt auch in einer Gesellschaft aufgewachsen, wo Antisemitismus tabuisiert wird. Und ich habe heute auch noch Ängste, gewisse Räume zu betreten und das Thema aufzumachen. Daher glaube ich, dass wir da ganz viel machen müssen und natürlich haben wir, wenn wir jetzt auf die Jugendlichen schauen, unterschiedliche Ursachen für den Antisemitismus. Also der eine verwendet Verschwörungsmythen, der andere Begründungen aus dem islamistischen Kontext heraus, manchmal rechtsextremer Kontext und manchmal auch dieses komplett gleichgültige Ignorante, was juckt mich das Thema? Und ich glaube, dass wir ganz viele verschiedene Zugänge schaffen könnten, in denen das Team zum Beispiel divers ist.
Also warum nicht Lehrerzimmer diverser aufstellen, Schulleitungen diverser aufstellen, Organisationen diverser aufstellen und da halt eben zu verdeutlichen, wir bringen alle verschiedene Zugänge mit, aber wir arbeiten gemeinsam mit einem Team.
Piotr Suder: Und was sagst du Personen, die sagen, dass Antisemitismus ein importiertes Phänomen sei. Was sagst du dazu? Was denkst du darüber? Und was kann man dem entgegnen?
Burak Yilmaz: Ja, also in Deutschland über importierten Judenhass zu sprechen, wenn ich mir die Geschichte anschaue, ist halt schon ein bisschen paradox. Vor allem, weil dieses Land, glaube ich, die krasseste antisemitische Geschichte überhaupt hat. Also wir können da halt nicht von dem importierten Antisemitismus sprechen. Und dieses Wort regt mich auf, weil man mit dem Finger auf andere zeigt. Ich merke, dass eben auch weite Teile der Mehrheitsgesellschaft eigentlich so einen Wunsch nach kollektiver Unschuld haben und, dass es für sie das gefundene Fressen ist, wenn dann Geflüchtete durch Antisemitismuss auffallen. Dann heißt es: Guck mal, wir sind so toll und haben das Ganze jetzt aufgearbeitet und jetzt kommen sie und ruinieren halt alles. Wichtiger wäre zu begreifen, dass Antisemitismus in allen Milieus eine Rolle spielt, natürlich auch unter Geflüchteten, natürlich auch in muslimischen Milieus, aber das darf nicht bedeuten, dass wir nur darüber reden. Dass wir nicht darüber reden, was ist mit der Mehrheitsgesellschaft eigentlich, was ist mit Kunstausstellungen wie bei der documenta, wo Antisemitismus eine Rolle gespielt hat, also das es eigentlich in allen Milieus der Gesellschaft eine Rolle spielt, aber wenn wir das auf ein Milieu reduzieren, dann werden wir der ganzen Sache gar nicht gerechnet.
Piotr Suder: Und was sagst du Menschen, die sagen, Muslime seien die neuen Juden?
Burak Yilmaz: Ja, das ist also, wenn ich auch aus der muslimischen Community manchmal höre, wir sind die neuen Juden. Das sind auch so Sätze, die mich furchtbar aufregen, weil es den Holocaust relativiert. Die Diskriminierung, die ich heute im Alltag erlebe, die kann man nicht vergleichen mit einer systematischen Vernichtung. Also, da müssen wir auch wirklich realistisch debattieren und es wird auf der anderen Seite auch meinen eigenen Erfahrungen nicht gerecht. Also warum muss ich denn direkt den Holocaust als Beispiel heranziehen, um zu zeigen: Hey, ich werde auch diskriminiert. Ich kann verstehen, wenn Leute sagen, wenn wir über antimuslimischen Rassismus gehen, werden wir nicht gehört. Das Gefühl kenne ich und das Gefühl ist wirklich deprimierend, das macht einen sauer. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir dann einen Völkermord nehmen und das gleichetzen, dass wir diesen antimuslimischen Rassismus mit einem Völkermord gleichsetzen, weil da kommen wir in eine ganz, ganz hässliche Spirale, die total schwierig ist.
Viel wichtiger ist es halt eben gerade bei diesem Kontext über die eigene Diskriminierungserfahrungen zu sprechen und sich zu fragen, wie wir Netzwerke aufbauen und wie wir öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema schaffen, ohne dass wir andere Gewaltverbrechen verharmlosen.
Piotr Suder: Gibt es denn dazu Kooperationen zwischen Muslimen und Juden. Irgendwelche Communities, weil sich ja zeigt, dass sowohl antimuslimischer Rassismus als auch Antisemitismus Probleme sind, die nicht gegeneinander gestellt werden sollten, nicht gegeneinander aufgewogen werden sollten. Und beide Gruppen sind ja Teile der Gesellschaft. Gibt es da auch eine spezielle Zusammenarbeit?
Burak Yilmaz: In den letzten zehn Jahren gab es immer mehr Begegnungen, immer mal Projekte zwischen der jüdischen und der muslimischen Community. Also ich habe 2009 mit dieser Arbeit angefangen und da war das alles noch sehr stark in den Kinderschuhen. Da haben Leute so Sachen gesagt, wie: Hä? Bist du bescheuert geworden, warum brauchen wir diese Begegnung? Aber inzwischen hat sich in beiden Communities sehr vieles getan, und ich glaube, dass auch die Terroranschläge in Halle und in Hanau eigentlich beide Communities wachgerüttelt haben, indem es verdeutlicht Leute: Schaut mal die Rechtsextremen, die denken Rassismus und Antisemitismus zusammen, warum können wir das als Zivilgesellschaft nicht? Und ich glaube, dass in den nächsten zehn Jahren die Begegnungen mehr werden. Dabei wünsche ich mir, dass wir nicht nur auf dieser Ebene von Begegnungen bleiben, sondern dass wir wirklich Strategien entwickeln. Diese Strategien entwickeln, erstens, um uns selbst zu beschützen, um uns tatsächlich unangenehme Fragen zu stellen, zum Beispiel: Was ist, wenn sich Hanau wiederholt? Was ist, wenn sich Halle wiederholt? Was machen wir dann? Also das ist so eine Frage, die mich wirklich sehr stark beschäftigt, aber auf der anderen Seite Strategien zu fahren, in denen wir gucken, wie wir unsere Bedürfnisse und Interessen als Communities eigentlich an die Öffentlichkeit transportieren können.
Piotr Suder: Und zum Schluss würde ich gerne mal wissen was kann ich persönlich, was kann jeder persönlich tun gegen antimuslimischen Rassismus, gegen Rassismus und gegen Antisemitismus?
Burak Yilmaz: Was wirklich jede Person tun kann, wenn wir über Rassismus und Antisemitismus reden, ist bei sich selbst anzufangen. Sich zu fragen, welche Vorurteile habe ich im Kopf, welche Gerüchte habe ich schon mal gehört, welche Bilder im Kopf habe ich, wenn ich das Wort Moslem oder Jude oder Muslima und Jüdin höre und insbesondere selbstkritisch an der eigenen Einstellung anzusetzen. Wir neigen häufig dazu, mit dem Finger auf andere zu zeigen, aber wichtiger ist das eigene Spiegelbild. Wo ist eigentlich meine Positionierung in dem Ganzen? Wie stehe ich zu diesem Thema? Welche Haltungen habe ich zu dem Thema? Und ich habe immer einen Satz, der für mich sehr, sehr wichtig ist: Ich sag immer der Kampf gegen Rassismus und den Kampf gegen Antisemitismus, der beginnt im eigenen Kopf.
Piotr Suder: In diesem Sinne, vielen Dank.
Das Interview könnt ihr auch hier als PDF downloaden.