Konflikte im Kontext Schule & Islam

Handlungsempfehlungen aus dem Gespräch mit Prof. Dr. Michael Kiefer

Welche Rolle spielt Religion (wirklich) in Konflikten? Das Fordern eines Gebetsraums und Fasten während des Ramadans sind nur zwei Themen, mit denen sich Lehrkräfte und Schüler*innen im Schulkontext beschäftigen. Dabei kommt es auch immer wieder zu Konflikten.

Der Islam und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Kiefer ordnet in vier Beispielen aus dem Kontext Schule ein und zeigt auf, wie pädagogisches Personal darauf reagieren kann.

Hier die Handlungsempfehlungen als PDF downloaden.

Fallbeispiel 1:  Schweigeminute für Samuel Paty

Im Unterricht soll, nach dem Wunsch der Schulleitung, eine Schweigeminute für die Opfer des Attentats auf Samuel Paty eingelegt werden. Der Lehrer bittet seine Schüler*innen, für eine Minute zu schweigen und dem Opfer in Frankreich zu gedenken. Zur Ruhe kommt es jedoch nicht, da manche Schüler*innen kichern und zwischendurch „Allahu akbar“ tuscheln.

Prof. Dr. Michael Kiefer: Bevor ich diese Situation beurteile, muss ich natürlich mal eine Reihe von Fragen stellen. Die erste Frage lautet, wie alt sind denn diese Schüler*innen, mit denen wir es hier zu tun haben? Sind das Zehnjährige oder sind es 17 oder 18 jährige? Und der Altersgruppe gemäß, müsste man dann auch verschiedene Optionen erwägen. 

Eine Möglichkeit damit umzugehen, wäre dass ich nach dem Unterricht die betreffenden Schüler*innen zu einem Gespräch einlade und nachfrage, warum sie auf diese Art und Weise reagiert haben. Das würde ich allerdings im persönlichen Gespräch machen und nicht coram publico, also nicht vor der ganzen Klasse. Denn wenn ich als Lehrkraft bei einem so provokativen Verhalten in den Konflikt einsteige und die ganze Klasse als Publikum habe, wird das vermutlich nicht gut funktionieren können. Also wäre aus einer pädagogischen Perspektive ein verzögertes Handeln sehr sinnvoll. Also nicht  im Moment der Schweigeminute einsteigen, sondern die Schüler*innen danach  zum Gespräch bitten und mit ihnen das besprechen, was sie dazu veranlasst, das lustig zu finden oder warum sie meinen, sie müssten „Allahu akbar” tuscheln. Da sollte man dann genau nachfragen, oder die Schüler*innen auch deutlich wissen lassen, dass man kichern in einer Schweigeminute doch missbilligt und dass es nicht in Ordnung ist, wenn ein Mensch zu Tode gekommen ist.

Fallbeispiel 2:  Fasten im Ramadan

Es ist Ramadan und ein Teil der muslimischen Schüler*innen fastet, ein andere Teil zieht es vor, nicht zu fasten. Die Lehrerin bekommt mit, wie Fastende Nicht-Fastende mobben und ihnen unterstellen, „keine richtigen Muslime“ zu sein. 

Prof. Dr. Michael Kiefer: Wenn sich das tatsächlich so zu tragen sollte, dass muslimische Schüler*innen versuchen andere muslimische Schüler*innen, die nicht ihrem Verhalten entsprechen, zu überwältigen, ist auf jeden Fall Handlungsbedarf geboten. 

Denn der Versuch der Überwältigung in diesen Dingen ist vollkommen inakzeptabel, weil damit die persönliche Integrität der nicht fastenden Schüler*innen durch dieses Mobbing verletzt wird. Und hier können die Schule und die Lehrkraft nicht zuschauen, sondern müssen das zum Gegenstand machen. Da steht das übliche Instrumentarium mit Gesprächen natürlich zur Verfügung, aber wenn es nicht aufhört, halte ich durchaus auch die Androhung von Sanktionen für gerechtfertigt. Denn wie gesagt, hier geht es nicht nur um eine Meinungs-äußerung, sondern es geht in diesem Fall um ein Überwältigungshandeln, was Schüler*innen gezeigt haben.

Fallbeispiel 3:  Gebetsraum in der Schule

Einige Jugendliche fordern seit einiger Zeit einen Gebetsraum, damit sie dort ihre Pflichtgebete verrichten können. Dabei vertreten sie ihren Anspruch sehr offensiv und drohen damit, dem Unterricht andernfalls fernzubleiben.  

Prof. Dr. Michael Kiefer: Ja, das ist hier eine schwierige Situation für die Lehrkräfte und für die Schulleitung, denn diese konfrontative Vorgehensweise stellt ein Problem dar. Also es wird nicht nur ein Wunsch geäußert, den Wunsch kann man durchaus ernst nehmen, aber die Umsetzung dessen ist zu missbilligen aus meiner Perspektive und ich würde dem Wunsch folglich auch nicht entsprechen.
 
Ich würde darum bitten zu klären, ob nicht andere Formen des Gebets möglich sind. Ob es nicht möglich ist, Gebete zusammenzuziehen oder anderenorts zu beten und wenn es so sein sollte, dass Teile der Schüler*innenschaft keine Alternative haben, eben aufgrund von Unterrichts-Bindung oder ähnlichem, kann man gucken, dass man gemeinsam eine Lösung findet. Aber nicht in dieser konfrontativen Manier. Das hört sich für mich nach einer Instrumentalisierung des Gebetswunsches an, also wo es nicht um den Gebetswunsch selbst geht, sondern eher darum ein bestimmtes Islam-Thema in der Schule durchzusetzen, demonstrativ für andere. Diesen Fall müsste man dann aber genauer prüfen.

Fallbeispiel 4:  Nahostkonflikt im Unterricht

Im Unterricht wird das Thema Nahostkonflikt behandelt. Einige Jugendliche behaupten, Israel würde ihre muslimischen Brüder und Schwerstern unterdrücken. Zudem werfen sie den deutschen Medien und der Politik vor, „zu judendfreundlich“ zu sein.

Prof. Dr. Michael Kiefer: Ja, wir haben hier tatsächlich zwei verschiedene Dinge, die wir sehen müssen. Das eine ist eine Beurteilung, eine Sichtweise des Israel-Konfliktes und der Vorwurf ist hier, Israel würde muslimische Menschen unterdrücken. Da wäre dann aus meiner Perspektive
diskursiv genau zu klären, was sie denn damit meinen.

Das zweite ist problematisch, weil hier drin steht, es gehe um „Judenfreundliches Verhalten“. Da muss man unmissverständlich klarmachen, dass Israel der Staat Israel ist. Es gibt eine israelische Regierung, es gibt israelische Streitkräfte, Polizeikräfte, aber die Juden sind Angehörige einer Religionsgemeinschaft, die es auf der ganzen Welt gibt und die natürlich nicht 1:1 verantwortlich gemacht werden können für den Palästina-Konflikt. Man muss das differenzieren und die Dinge jeweils getrennt betrachten und bearbeiten, was natürlich beim Nahostkonflikt immer schwierig ist, weil die Thematik „Israelbezogener Antisemitismus” oft gerade von Jugendlichen nicht so gesehen wird. Diese sagen, das ist kein Antisemitismus, sondern das sind Ansichten die durchaus auf Fakten basieren. Und hier ist es dann notwendig, dass man deutlich macht, was sind Kennzeichen eines Israelbezogenen Antisemitismus? Also wie zum Beispiel, dass man doppelte Standards hat, dass man Israel dämonisiert in einer bestimmten Art und Weise oder Israel als Staat grundsätzlich delegitimiert.

Aber wie gesagt ist das nicht einfach, da muss man schon ein bisschen ausholen, um das differenziert herauszuarbeiten. Machen muss man es aber auf jeden Fall, denn diese Themen tauchen immer wieder auf und insofern muss man sich den Dingen stellen.